Der Nebelwald von Monteverde

Auf den letzten 25 Kilometern unserer Anreise in den Nationalpark Monteverde machen wir erste Bekanntschaft mit den Straßen, die von den wenigen Hauptverkehrsverbindungen abzweigen. Es sind reine Schotterpisten, so breit, dass auch Busse oder Lastwagen gut aneinander vorbei kommen, aber teilweise sehr schlaglöchrig und deshalb der Konzentration der Autofahrer ungemein förderlich. Zum Glück herrscht so wenig Verkehr, dass man gerne auch mal auf die linke Straßenseite ausweichen kann, wenn es dort etwas weniger holprig ist. Das durchschnittliche Tempo ist auf derartigen Straßen nicht sehr hoch, so dass sich schon andeutet, dass unsere Transfers ins nächste Hotel meistens länger dauern, als es nach der reinen Luftlinienentfernung zu vermuten wäre. Das bergige Profil des Landes tut natürlich das Seine dazu, dass die Luftlinie nur eine theoretische Entfernung ist, wenn man gerade kein Flugzeug bei sich hat.

Unsere zweite Unterkunft ist die Finca Valverde in Santa Elena, dem Eingangsort in den Nationalpark Monteverde. Santa Elena ist ein kleines Kaff, das mitten im Bergland liegt und offenbar vom Naturtourismus lebt. Es gibt Hotels, Restaurants und Läden und eine direkte Busverbindung nach San José, das irgendwo viele Holperstunden entfernt im Südosten liegt. Der erste Eindruck, dass man Costa Rica ganz gut auch mit dem öffentlichen Verkehr erschließen kann, wird an vielen anderen Stellen des Landes bestätigt.

Unser Hotel liegt am Rande von Santa Elena, aber man hat den Eindruck, sie liegt mitten im Wald. Von der Rezeption aus erreichen wir über eine etwa 30 Meter lange Hängebrücke unsere Quartiere, die völlig von dichten Bäumen umstanden sind. Die Gebäude werden von Holz als Baustoff dominiert, was ihnen eine urige Atmosphäre verleiht. Lediglich die Gardinen, mit denen man sich vor der Außenwelt, die draußen vorbeigeht, abschirmen kann, erregen die Aufmerksamkeit von Catrin, der die geschmackvolle rosa Färbung ins Auge sticht.

Um den Tagesrhythmus für die kommenden Wochen früh zu üben, ruft uns Frank noch am Anreisetag zu einer ersten Wanderung in den Nebelwald Monteverde. Worin sich ein „Nebelwald“ von einem „Regenwald“ unterscheidet, würden wir nur allzu bald erfahren. Was ich von meinen bisherigen Tropenreisen, die nur in Büchern oder vor dem Fernseher stattgefunden hatten, wusste, finde ich gleich beim ersten Rundgang bestätigt. Während es „draußen“ hell ist, verliert sich das Tageslicht im Wald schon schnell in der dichten Vegetation. Für einen, der eine aufwändige Fotoausrüstung mit sich herumschleppt, um alles Sehens- und Berichtenswerte im Bild zu dokumentieren, eine echte Herausforderung. Und wo draußen Sonne und lockere Bewölkung die Szenerie bestimmen, tropft es im Wald immer von oben. Die Folge sind teilweise recht matschige Wege und ich ahne bereits, dass meine Entscheidung für Gore-Tex-verdichtete Wanderschuhe richtig war. Was ich allerdings nicht ahne, ist die ab sofort stetig sinkende Qualität der Wanderwege.

Die üppige Vielfalt der tropischen Pflanzenwelt ist schon nach wenigen Minuten offenkundig und wir an Buchen und Fichten gewöhnten Mitteleuropäer staunen nicht schlecht über die Durchmischung der Arten auf engstem Raum. Kein Wunder, wenn – wie Frank erklärt – auf einem einzigen Baum bis zu 75 verschiedene weitere Pflanzenarten gleichzeitig nisten können. Es ist gänzlich unmöglich, Bestandteile des ursprünglichen Baumes von den Schmarotzern und Symbionten zu unterscheiden.

Schon bei der ersten Wanderung beginnen die wissenschaftlichen Dispute über die Flora und Fauna Costa Ricas, wobei jeder etwas beizusteuern weiß, aber – ohne dass es ehrenrührig gemeint ist – doch wohl festgehalten werden kann, dass niemand über die Summe allen Wissens verfügt. Außer vielleicht Florenz, der – Nomen est Omen – Botaniker ist und sich auf die Dinge versteht, über die die anderen freundlich wetteifern. Heute ging es um die Frage, ob denn nun Lianen von oben nach unten wachsen oder von unten nach oben oder etwa beides, ob sie eigenständige Pflanzen oder nur die Wurzeln, Äste oder sonst was von anderen, ob man mit ihnen wie einst Tarzan von Baum zu Baum schwingen kann und ob das vielleicht doch eher gar keine Lianen, sondern irgendwas ganz anderes ist, was man gerade interessiert befingert. Ich überlasse es den geneigten Lesern, selbst über die Antworten auf diese Fragen zu befinden und bekenne, dass ich mir auch heute darüber nicht im Klaren bin.

Da, das erste Wildtier! Irgendwo über unseren Köpfen wechselt ein Vogel die Baumkrone. Langer Hals, breit gefächerter Schwanz, dunkle Silhouette gegen den hellen Himmel. Keine Ahnung, was das sein soll. Aber Kamera hochgerissen und fotografiert. Ein paar Windungen des Wegs weiter die ersten Affen, die rechts über uns in ungefähr zwanzig Meter Höhe durch die Baumkronen klettern. Schönes Erlebnis, aber fototechnisch kaum zu meistern bei der Entfernung und diesen Lichtverhältnissen. Aber ich beginne schon die scharfäugigen Wanderer, allen voran unseren Reiseleiter, zu bewundern, die die Tiere schon ausführlich beobachten, bevor ich noch begreife, wo ich überhaupt hinschauen muss. Dass man oft vor lauter Wald die Bäume nicht sieht, ist eine Jahrtausende alte Erkenntnis, da erstaunt es sicher nicht, dass man vor lauter Wald überhaupt nichts anderes mehr sieht. Na ja, ich sollte auch noch vereinzelte Erfolgserlebnisse haben, auch wenn ich eine erhebliche Mitwirkung von Meister Zufall nicht ganz ausschließen kann.


Im Dorf der heiligen Elena

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