Die Ausreiseprozedur

Es ist, soweit ich mich erinnere, der dritte Reisetag ohne Regen, na ja fast, denn nachts hat es wieder kräftig heruntergemacht. Dafür ist es jetzt sehr schwül und man schwitzt schon, wenn man nichts tut. Aber auch das hatten wir in den letzten Wochen schon öfter. Immerhin haben die letzten beiden Tage den meisten von uns einen netten Sonnenbrand auf die Haut gesengt, so dass wir noch ein schmerzhaftes Mitbringsel für die Heimat haben, die nun wieder ruft. Wie soll man den daheim Gebliebenen klar machen, dass Regen das beste Erkennungsmerkmal für Mittelamerika ist. Irgendwie ist es gar nicht so verlockend, in Kürze wieder dem gewohnten Tagwerk nachzugehen, aber wie der Volksmund – sicher auch der in Costa Rica – zu berichten weiß: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“. In den letzten Tagen haben wir schon den Wetterinformationen aus der Heimat gelauscht und damit gerechnet, unseren Aufenthalt verlängern zu müssen (zu dürfen), denn in Europa herrschen arktische Temperaturen, es liegt bergeweise Schnee und auf unserem Zwischenzielflughafen Madrid haben sich Arbeiter geweigert, die Flugzeuge vom Eis frei zu kratzen (Na ja, so ist es bei mir angekommen. In Wahrheit waren es doch eher unmeteorologische Gründe, die zum Fluglotsenstreik geführt haben). Aber dann ist wohl eine Entspannung eingetreten und es muss damit gerechnet werden, dass wir doch nach Hause müssen. Frank ist jedenfalls unnachgiebig und verfrachtet uns überpünktlich zum Bus. Wahrscheinlich hat er uns nicht gegönnt, noch länger in seinem Land zu bleiben. Aber eine Einladung, jederzeit bei ihm reinzuschauen, hat er uns doch noch mitgegeben.

Um uns den Abschied aus seinem Heimatland zu erleichtern, zeigt er uns unterwegs einen frisch aus dem Ei gepellten Supermarkt und Einkaufsgalerie auf der grünen Wiese, wo mehr Personal als Kunden gezählt werden können. Vor allem die mit Pistolen und Knüppel ausgestatteten Mitarbeiter der Securidad erinnern uns auf Schritt und Tritt daran, die Einkaufsmeile nicht wie sonst üblich zu verlassen.

Auf einer Brücke hinter Jaco, die über den Rio Grande de Tárcoles führt, verspricht uns Frank noch mit achtzigprozentiger Wahrscheinlichkeit die Beobachtung von Tieren, die wir bisher noch nicht gesehen haben. Worum es sich dabei handeln könnte, ahnen die schlauesten in der Reisegruppe schon, als sie vor der Brücke ein Schild mit einem aufgemalten Krokodil sehen. Und tatsächlich liegen unter der Brücke im Wasser und auf dem Kiesstrand rund zehn „Cocodriles“ faul herum. Einige haben das Maul weit aufgesperrt und hoffen anscheinend, dass gebratene Tauben genau an ihrem Standort vorbei fliegen. Da es der letzte Programmpunkt unserer Mittelamerikaexpedition ist, machen wir noch einmal fleißig Fotos, die wir später unseren beeindruckten Freunden, Bekannten und Verwandten präsentieren werden.

Als wir uns am Flugplatz mit Handschlag und Umarmung von Frank und Manuel verabschiedet haben, kommt der härteste Teil des Urlaubs, das Einchecken beim costaricanischen Zoll und bei Iberia. Es gehört ganz sicher zum wohlüberlegten Programm, uns den Abschied zu „erleichtern“, 26 Dollar oder 13.000 Colónes am ersten Schalter berappen zu dürfen, damit wir endlich ausreisen. Kaum zu glauben, dass uns die Costaricaner in den knapp drei Wochen so sehr in ihr Herz geschlossen haben, dass sie uns nur gegen Zahlung eines Lösegeldes wieder gehen lassen.

Am nächsten Schalter, den wir allerdings nach und nach nur im Viertelstundentakt erreichen, wird die Zahlung der Ausreisegebühr und das korrekte Ausfüllen der Daten, die auf der Rückseite des entsprechenden Formulars ohnehin schon aufgedruckt sind, überprüft. Der Gesichtsausdruck der jungen Dame am Schalter lässt keinen Zweifel daran, wie viel Freude ihr dieser Job bereitet. Ich muss an ihre Kollegin beim Autoverleih denken. Nun, bei der Rückgabe des Autos bediente uns ja eine junge Frau, die sich von ihrer Kollegin durch ausgesprochene Freundlichkeit abhob. Es stellte sich dann aber doch heraus, dass sie noch neu im Job ist und vermutlich in der Probezeit. Wer weiß, wie das in einem Jahr aussieht. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass eine überwältigende Mehrheit der Costaricaner sehr freundlich, ausdrücklich auch fremdenfreundlich ist, wie überall im Land an vielen lächelnden Gesichtern, an Winken und Hilfsbereitschaft eindeutig abzulesen ist.

Am nächsten Schalter wird dann das Gepäck eingecheckt. Obwohl nach einer Wartezeit von rund vierzig Minuten an vier Schaltern gleichzeitig gearbeitet wird, dauert es endlos lange, bis die noch endlos längere Schlange an Gepäck schleppenden Reisenden sich zum Abfertigungsschalter gewunden hat. Übrigens muss das Winden einer lebendigen Schlange – einer Buschmeister vielleicht? – Pate gestanden haben bei der Wegeführung der Abfertigungsschlange. Es sind einige Passagiere zu beobachten, die Gepäckstücke aus ihren Koffern ins Handgepäck umladen müssen, weil sie die zulässige Achslast ihrer Koffer in der Höhe von 23 kg überschritten haben. Eine nicht repräsentative Umfrage unter den Wikingern ergibt anschließend, dass ihre Koffer gegenüber der Anreise um durchschnittlich drei Kilogramm zugenommen haben. Der Rekord liegt gar bei fünf Kilo. Auch bei mir selbst sind drei Kilo zu verzeichnen, allerdings gerade noch im Limit. Ich hoffe, dass die Gewichtszunahme nur meinen Koffer und nicht auch mich selbst betrifft, denn schließlich brauche ich Reserven für die bevorstehenden Weihnachtsfeiern. Wir erklären uns die schweren Koffer in erster Linie mit dem vielen Kaffee, den wir aus dem Land der Kaffeebohne mitnehmen und dem vielen Regen, den unsere Kleider im Land des Regentropfens aufgesammelt haben.

Am nächsten Schalter werden wir auf die verschiedenen Schlangen der Sicherheitsüberprüfung aufgeteilt. Dort müssen wir uns aller metallischen Gegenstände und unserer Schuhe entledigen (Merke: In Costa Rica scheinen Schuhe aus Metall zu bestehen). Und, oh Wunder, beim Durchschreiten des Röntgenscanners gibt es bei mir erstmals seit Menschengedenken keinen Piepston. Entweder ist das Ding defekt oder all die anderen Geräte, bei denen es immer gepiepst hat mit der Folge, dass eine weitere Leibesvisitation mit dem Handscanner vollzogen wurde.

Nachdem das alles überwunden ist, warten wir zwei Stunden in der Abreisehalle – es ist längst bekannt, dass der Abflug um eine Stunde verschoben ist – bevor es per Bus zum Flugzeug und an Bord geht. Alles in allem haben wir sieben Stunden am Flughafen San José zugebracht, was die These, Fliegen sei eine schnelle Reiseart, aufs Heftigste widerlegt.

Da ja über zwei Wochen lang die Gelegenheit bestand festzustellen, dass es in Costa Rica keinen Sternenhimmel gibt, kann ich just am vorletzten Urlaubstag einen kurzen Blick auf Jupiter, Venus, den großen Wagen und die Internationale Raumstation ISS erhaschen, bevor wieder Regenwolken die Sicht versperren. Und genau im Bus auf dem Weg zwischen Abfertigungshalle und Flugzeug gibt es das astronomische Ereignis, auf das ich mich am meisten gefreut hatte und das ich jetzt gar nicht mehr genießen, geschweige denn fotografieren kann. Die schmale Sichel des zwar grundsätzlich zunehmenden, aber in diesem Moment untergehenden Mondes, erscheint über dem Horizont. Jeder – mit Verlaub – unbedarfte Mitteleuropäer mag frotzeln „Guckste dir das Ganze halt nächstes Mal in Deutschland an“, aber das ist nicht das Gleiche. Denn während der zunehmende Mond die Sichel rechts und abends, der abnehmende aber links und morgens trägt, liegt die Sichel am Äquator und in seiner Nähe immer flach und ist am Rund des Mondes immer unten zu sehen. Nicht einmal das haben mir die Wettergötter gegönnt. Sie haben offenkundig einen Dreierpakt geschlossen mit dem costaricanischen Zoll, der bei der Ankunft mein mitgebrachtes Obst konfisziert hat und jetzt meine Ausreisegebühr im Flughafenrestaurant versäuft, und mit Iberia, die eine besonders quälende Eincheckprozedur für uns erfunden haben.


Ungiftige Schlangen am Flughafen

Erinnerungen

an Costa Rica

Bilder und Reisebericht

mehr ...