Riesenrhabarber im Nebelwald

Wir machen auf einer Wiese neben der Straße unser Frühstückspicknick und beraten, wie der Tag noch zum Erfolg werden könnte. Verschiedene Attraktionen der näheren und weiteren Umgebung werden im Geiste und im Reiseführer abgeklappert. Leider ist es der Reiseführer von Daniela, der an jedem Ziel etwas auszusetzen hat. Mal zu teuer, mal zu künstlich, mal zu amerikanisch, wir werden einfach nicht fündig. Was bleibt uns übrig, als immer wieder mal hoch zu schielen zum Berg, der sich jedesmal in ein anderes Wolkenkleid gehüllt hat. Das Wetter wird doch besser, oder etwa nicht? Wir wagen einen neuen Versuch und fahren wieder rauf. Diesmal haben wir einen Touristenbus und einen PKW vor uns, selbst das trampende Pärchen, das wir zweimal haben stehen lassen, hat inzwischen einen mitfühlenden Pickup-Fahrer gefunden, der es nach oben transportiert. Wir zahlen unseren Obolus und fahren weiter zum Parkplatz, wo uns einer der unzähligen Nationalparkhelfer Costa Ricas klar macht, dass wir nicht vorwärts, sondern rückwärts einzuparken hätten. Und nein, so geht es nicht, das Auto muss fünf Zentimeter weiter links stehen. Da ich nicht davon ausgehe, dass europäische oder gar deutsche Bürokratie in Costa Rica schon ihre Spuren hinterlassen haben, kann ich nur schließen, dass ein Ausbruch des Poás unmittelbar bevorsteht und wir ohne Wende- und Behinderungsmanöver sofort fliehen können, wenn es soweit ist. Schließlich kommen Vulkanausbrüche zwar nicht so unvermittelt wie Wetterumschwünge im Gebirge, aber doch immer wieder einmal. Apropos Wetterumschwünge. Gegenüber dem ersten Versuch zwei Stunden zuvor hat es erst viel später und näher am Krater zu nieseln begonnen und hinter dem Nebel leuchtet es so hell, dass jede Sekunde die Sonne hervorbrechen und uns den ungetrübten Blick auf das nur aus dem Reiseführer bekannte Naturschauspiel freigeben muss. Wir gehen also in freudiger Erwartung den letzten halben Kilometer bis zur Aussichtsplattform und stehen in einer milchig-weißen Szenerie, die noch nicht einmal einen Hauch dessen erahnen lässt, was wir hinter dem dicken Schleier vermuten.

Wieder umsonst angereist, diesmal sogar gegen eine saftige Gebühr, dürfte alle Vieren durch den Kopf gehen. Aber es gibt ja immer Hoffnung, vor allem bei den Unbelehrbaren. Wir beschließen, den Wettergöttern noch eine halbe Stunde Zeit zu geben und wandern zum Nebenkrater, der sich im Laufe der Zeit mit Regenwasser gefüllt hat – wurde bereits angemerkt, dass es in Costa Rica ab und zu regnet? –, der aber trotzdem nur begrenzt zum Baden einlädt, da er schweflige Anteile enthält und der Gesundheit des Badenden möglicherweise nicht ganz zuträglich ist. Immerhin ist er verträglicher als der Hauptkrater, der – glaubt man ortskundigen Gästeführern – allerlei ungesunde Stoffe aus dem Erdinneren zu Tage fördert. Und die Badetemperatur, die bei durchschnittlich 40 Grad noch einigermaßen verträglich wäre, kann durchaus auch auf 700 Grad steigen. Mathematisch gesehen kann sie demnach auch bei -620 Grad liegen, was die in der Schule gelehrte These widerlegt, die niedrigste mögliche Temperatur läge bei -273 Grad. Wie man sieht, kann man durch praktische Studien vor Ort die bisher ungefragt geglaubten Mythen aus der Schulzeit widerlegen.

Wir wandern den Kraterrundweg ab, auf dem wir allerlei Pflanzen beobachten können, insbesondere die gigantischen Blätter des Riesenrhabarbers, aber keinen einzigen Krater, noch nicht einmal einen im Nebel. Wir kommen zurück zum Hauptkrater und finden heraus, dass die costaricanischen Wettergötter ungnädig sind und Leistung nicht anerkennen. Und die haben wir doch jetzt wirklich erbracht, findet Marion, die sich von den Vulkanen der Welt noch nie so getäuscht sah wie bei dieser Reise. Nebel, so hell, dass er die Augen blendet. Und jetzt haben sogar wir ein Einsehen und erkennen, dass buchstäblich außer Spesen nichts gewesen ist. Immerhin finden wir, dass es schon ein Selbstlob wert ist, es wenigstens versucht zu haben. Die Wettergötter setzen ihrem Schabernack aber sofort die Krone auf, indem sie aus dem gleißenden Nebellicht noch einen kräftigen Regenguss auf uns herablassen.

Wir trocknen uns im Nationalparkrestaurant, trinken eine Tasse Kaffee und machen uns zum Wohlgefallen des Parkplatzwärters vom Acker. Gleißendes Sonnenlicht und beste Sicht nach zehn Kilometern machen unsere Niederlage komplett.


Außer Spesen nichts gewesen

Erinnerungen

an Costa Rica

Bilder und Reisebericht

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