Wolken am Irazú

Ach, hätte ich doch ebenso viel Respekt vor den Mächten der Natur wie meine Reisegefährten! Diese Weicheier weigerten sich doch glatt, mit mir in den Krater zu steigen auf der Jagd nach dem spektakulärsten Vulkan-Fotos des Jahres. Nun stehe ich hier zwischen den brodelnden, rot glühenden Lavaströmen, eine mächtige Wolke aus heißer Asche treibt unaufhaltsam auf mich zu, die Füße versinken allmählich im butterweichen Gestein, die Hitze treibt mir den letzten Schweißtropfen durch die Haut. Ausgerechnet in diesen Minuten erwachte der schlafende Riese, in der Indianersprache Iaratzu genannte Vulkan, was so viel heißt wie „grollender Berg“. Wenn einer beurteilen kann, dass der Name passt, dann ich in diesem Moment. Der giftgrüne Säuresee, der den Hauptkrater füllt, steigt bedrohlich an und meine Sorge ist, dass es ätzende Fotos werden könnten, die ich von meiner Klettertour mitbringen könnte – falls ich überhaupt aus diesem Schlamassel herauskommen würde …

Heute beginnt also der Dezember. Die Regenzeit ist vorüber und nachdem ich mir den Angstschweiß des nächtlichen Albtraums abgewischt habe, bin ich bereit, mich von den Vorzügen der Trockenzeit beeindrucken zu lassen. Besser hätte es das Reiseprogramm gar nicht machen können, denn wir planen nach den eher unspektakulären Vulkanfüßen des Rincón de la Vieja und des Arenal – wenn man von Fumarolen, Schlammlöchern und Thermalbädern einmal absieht – endlich eine Gipfeltour. Der höchste Punkt des Irazú ragt 3.432 Meter über das Meer und die Aussicht auf den ungetrübten Fernblick zu den beiden großen Ozeanen, die Costa Rica einfassen, ist überwältigend.

Leider hält Tierra Verde morgendlichen Dauerregen für uns bereit und Frank steigert die Spannung durch die Botschaft, der Wetterbericht habe eine geschlossene Wolkendecke über ganz Costa Rica vorausgesagt. Unterwegs will er uns Hoffnung machen, dass es auf dem Berg vielleicht doch aufreißt und wir etwas sehen werden. Tatsächlich können eingefleischte Optimisten zeitweise leichte Konturen im Einheitsgrau entdecken. Wir ändern geringfügig das Programm, um Zeit zu schinden und gehen zuerst auf den höchsten Punkt und anschließend zu den beiden Kratern. Auf den letzten achtzig Höhenmetern zwischen Busparkplatz und Gipfelplattform bekomme ich zum ersten Mal im Leben einen leichten Eindruck, wie das ist, wenn weniger Sauerstoff in der Luft ist. Es äußert sich in leichtem Unwohlsein in der Magengegend und leichtem Schwindelgefühl. Mein Respekt vor Himalaya-Wanderern, die mehr als doppelt so hoch hinaus kommen, steigt in diesem Augenblick.

Leider müssen wir Frank für die heutige Tourenplanung Abzüge in der B-Note geben. Die Nebelsuppe über dem Gebirge lässt einen Blick von etwa hundert Metern zu. Von Ozeanpanoramen nicht die geringste Spur. Während überall im Land der Regen senkrecht von oben fällt, kommt er hier, vom Wind getrieben, waagerecht über den Bergkamm. Da hilft keine Regenjacke und kein Schirm, wir sind in rasend schneller Zeit klatschnass.

Runter von der Plattform, wo es etwas windgeschützter zugeht. Die meisten Gruppenmitglieder ziehen sich in das Nationalparkrestaurant zurück und gönnen sich einen Kaffee oder sehen sich die Souvenirs im Geschenkeladen an. Ein paar Unbelehrbare gehen die paar hundert Meter bis zum Aussichtspunkt auf den Säuresee im Hauptkrater. Der liegt 300 Meter tiefer und lässt von seiner herrlichen grünen Farbe rein gar nichts erkennen. Allenfalls eine leicht dunkle Schattierung im Nebel lässt sich mit einiger Phantasie ausmachen.

Auch hartgesottene Trekking-Touristen, also alle in unserer Reisegruppe, werten die Besteigung des Irazú als Reinfall. Regen und Nebel, wohin das Auge schaut, die Kleider nass bis auf die Knochen, für Costa Rica ganz untypische Kälte auf über 3.000 Meter, es hat keinen Zweck, hier noch länger zu verweilen. Merke: Wenn die Trockenzeit beginnt, solltest du mit noch mehr Regen rechnen. Wir fahren wieder hinunter, in südwestlicher Richtung ins Zentraltal auf 1.300 Meter, um an dessen südöstlichem Rand auf der Panamericana gleich wieder auf über 3.000 Meter zu steigen. Wir fahren zum Cerro de la Muerte, dem Todesberg, der seinen Namen wohl schon länger hat, aber in einer modernen Deutung so wegen der vielen Verkehrsunfälle, die enge Kurven im Hochgebirge und häufiger Nebel über der Straße auslösen, genannt wird. Frank erzählt, dass er einmal mit dem Auto drei Stunden für vierzig Kilometer gebraucht hat. Und er klärt uns auf, dass der panamerikanische Highway hier oben seinen höchsten Punkt erreicht. Das verwundert mich etwas, denn ich hätte da eher an Peru gedacht. Oder meint Frank etwa nur den costaricanischen Teil der Straße?


Vulkangipfel im Regenkleid

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