Kaffee im Orosi-Tal

Sind Raum und Zeit diskret oder kontinuierlich? Auf welche Weise existieren Raum und Zeit? Gibt es Zeit ohne Bewegung und Bewegung ohne Zeit? Ist nicht der Raum grundlegender als die Zeit? – Ja, das wüsste ich auch gerne. Ich wüsste auch gerne, ob das überhaupt die richtigen Fragen sind. Und was haben die mit meinem Aufenthalt in Costa Rica zu tun? Und was weiß Peter Eisenhardt, dessen Buch „Der Webstuhl der Zeit“ ich in den kurz bemessenen Pausen zwischen unseren Expeditionen lese(n will), über diese Expeditionen? Und was weiß ich, warum er solche Einfälle zu Protokoll gibt?
„Wie gehen mögliche Zustände in faktische über? Oder anders: Wenn eine Überlagerung oder ein individuelles (unteilbares) Quantenphänomen zeitlos ist, wie entwickelt sich daraus ein zeitlicher Zustand des Wirklichen? „Gibt“ es nicht auch das Mögliche, nur dass es nicht „faktisch“ ist? Denn wenn man dem Möglichen nur eine Art „Geisterexistenz“ zuschreiben könnte, wenn es nur der Schatten des Wirklichen wäre und damit jede Möglichkeit immer eine Wirklichkeit voraussetzen würde, dann wäre es völlig unerklärbar, wie im Rahmen der Quantentheorie Wirkliches aus Möglichem entspringt…“ - Ah ja. Wenn also die Möglichkeit, dass es in Costa Rica regnet, Wirklichkeit wird, kriege ich nasse Füße. War das so gemeint? - „Es wäre total unverständlich, wie es im Rahmen der Quantenkosmologie sein kann, dass klassische Eigenschaften intrinsisch entstehen. Was ist denn nun wirklich oder faktisch? Wenn die Möglichkeit kein Schatten des Wirklichen ist, könnte nicht umgekehrt die Wirklichkeit die lokale Abschattung des Möglichen sein? Dann wäre ein (wirklicher) klassischer Zustand nur ein Schein des Möglichen, nur maya (Täuschung, Illusion). Dies würde jedoch bedeuten, dass das Mögliche das eigentlich Wirkliche ist und das „Wirkliche“ (Klassische) nur eine „Scheinexistenz“ besitzt.“ – Alles klar soweit. Offenbar will uns der Autor verdeutlichen, dass die Möglichkeit, dass wir im costaricanischen Urwald Frösche und Schlangen entdecken, dazu führt, dass wir sie wirklich entdecken, und umgekehrt, dass, wenn wir keine Pumas entdecken, es sie überhaupt nicht gibt, sie also eine Scheinexistenz führen. Irgendwie so, oder völlig anders, muss es sich zutragen. Und wenn nicht, dann aber genau so. Wer das jetzt nicht kapiert hat, möge Herrn Eisenhardt kontaktieren und es mir anschließend erklären. Ich werde mich einstweilen auf die Wirklichkeit meiner Forschungsreise in den Dschungel konzentrieren.

Mir schwirrt der Kopf. Was ich gestern Abend gelesen habe, lässt mich daran zweifeln, ob es richtig war, diesen Schinken, an dem ich mich seit zwei Jahren immer wieder einmal versuche, so eine weite Reise machen zu lassen. Meine langjährige Erfahrung, dass das Lesen von Büchern nur im Urlaub gelingt, lässt mich dieses Mal im Stich. Was aber nicht weiter stört, denn ich bin nicht hierher gekommen, um Bücher zu lesen. Vielleicht ist es ja dieses Mal genau anders herum und ich schreibe ein Buch.

Heute scheint ein richtiges Aprilwetter zu herrschen. In der Nacht hat es stark geregnet, zum Frühstück reißt der Himmel auf und zaubert schöne Lichteffekte in das Orosi-Tal, über dem noch einige Wolken hängen. Tagsüber wechseln sich trocken und nass beständig ab, aber es ist keine Sonne mehr zu sehen. Leider fällt auch das zweite geplante Picknick dem Wetter teilweise zum Opfer.

Wir fahren ins Orosi-Tal hinunter, vorbei an weiteren Sturmschäden der letzten Wochen. Der Rio Grande de Orosi hat mehrere Häuser so stark unterspült, dass sie abenteuerlich über dem Ufer hängen. Wir haben von unten einen guten Blick auf die exponierte Position der Sanchiri Lodge oben auf dem Berg. Frank erklärt uns in einer Kaffeeplantage die Produktion von Kaffee, einem der wichtigsten Ausfuhrartikel von Costa Rica. Landesweit werden fast 100.000 Hektar bestellt und wegen seiner besseren Qualität darf nur noch Arabica-Kaffee angebaut werden. Robusta wird von der Regierung nicht mehr erlaubt, obwohl er mehr Ertrag bringt. Er hat aber nicht die gleiche Qualität. Eine Frucht trägt normalerweise zwei Bohnen, manchmal eine oder drei, wie wir uns überzeugen können. Die Früchte reifen von grün über gelb bis zu rot. Die Bohnen sind weißlich und von einer Haut überzogen, die den Kaffee für Transport und Lagerung haltbar macht, statt nach acht müsste er sonst spätestens nach zwei Monaten verarbeitet werden. Erst kurz vor dem Rösten wird die Haut entfernt. Die Produktion ist arbeitsaufwändig, vor allem das Einsammeln. Unterwegs sehen wir Erntehelfer mit auf den Rücken geschnallten Körben. Sie sammeln nur die roten Bohnen, wobei auch grüne und gelbe, die dazwischen sind, weiterverarbeitet werden. Ein Sack voller Bohnen bringt einen Erlös von 3600 Colones, also knapp sechs Euro.

Frank erzählt, dass er als Kind beim Sammeln helfen durfte, wie alle anderen Kinder auch. Ihm hat das Spaß gemacht. Damals wurden die Schulferien so gelegt, dass sie in die Erntezeit fielen. Heute findet das nicht mehr statt, was uns Frank mit dem Ausdruck des Bedauerns erzählt. Kaffee wird zweimal gespritzt, einmal gegen Ungeziefer auf der Pflanze, einmal gegen Unkraut. Biokaffee bringt kaum mehr Erlös, ist aber viel mehr Arbeit. Deshalb spielt er in Costa Rica trotz seines hohen Nachhaltigkeitsanspruchs keine besondere Rolle. Eine Pflanze bringt fünf Jahre lang Frucht und wird dann zurück geschnitten. Dieser Prozess wird sechsmal wiederholt, bevor die Pflanze ausgetauscht wird.

Weiter geht es nach Orosi zum Einkauf für das geplante Picknick. Direkt bei der Touristeninformation ist die Panaderia Suiza, eine Schweizer Bäckerei, die von einer Schweizerin geführt wird. Sie füttert uns mit Proben von selbst produzierten Marmeladen aus einheimischem Obst. Wir kaufen ihre Restbestände fast vollständig auf. Außerdem gibt es verschiedene Früchtebrote. Mein Brombeerbrot ist ein echter Gaumenkitzler.


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