Der Schlupfwinkel der alten Frau

Während wir die ersten beiden Tage noch im weiteren Dunstkreis der Landeshauptstadt zugebracht haben, geht es nun weiter in den Nordwesten zum Nationalpark Rincón de la Vieja, der seinen Namen von einem aktiven Vulkan hat. Sieben aktive Vulkane gibt es derzeit in Costa Rica, wobei sich schnell herausstellt, dass „aktiv“ ein sehr relativer Begriff ist. Vier dieser Vulkane sollten wir im Verlauf der Reise „sehen“. Beim ersten Versuch sehen wir nur dicke Wolken. Rincón de la Vieja heißt „Schlupfwinkel der alten Frau“ und verweist auf die Sage, nach der eine Hexe von Dorfbewohnern in der Nähe verflucht worden war und sich daraufhin grollend in den Kratersee zurückgezogen hat. Eine Gipfelbesteigung ist nicht geplant, aber immerhin eine Wanderung zu den Spuren der Aktivitäten der alten Frau unter dem Boden.

Bei der Anreise kommen wir schon an einer großen Baustelle vorbei, wo derzeit ein geothermisches Kraftwerk entsteht, das die weitgehende Unabhängigkeit Costa Ricas von fossilen Energieträgern weiter festigt. Wir erfahren, dass 96 Prozent des Stroms aus regenerativen Quellen stammt. Allen weit voran ist Wasserkraft Energielieferant Nummer eins, inzwischen folgen, wie wir uns überzeugen können, Warmwasserkollektoren, Windräder und eben in naher Zukunft eine geothermische Anlage. Da ich in meinem Heimatland an Planungen und Maßnahmen zum Ausbau der regenerativen Energien beteiligt bin, ist für mich die Zahl 96 natürlich absolut beeindruckend und ich argwöhne schon, das liege vielleicht daran, dass in Costa Rica der Nutzungsgrad nicht sehr hoch sei wegen einer schwach entwickelten Infrastruktur. In dieser Frage nimmt mir aber Frank locker den Wind aus den Segeln, indem er betont, dass jedes Haus in Costa Rica, und sei es noch so abgelegen, über Strom verfügt. Und tatsächlich sehen wir auch entlang aller Straßen Stromleitungen, die an Knotenpunkten zu abenteuerlichen Konstruktionen vertäut sind. Rolf, der sich als Elektriker zu erkennen gibt, bestätigt allerdings uns Laien die gute Qualität der Installationen. Und zur Bekräftigung seiner Aussagen ergänzt Frank: „Bei uns steht nicht in jedem Haus ein Fernseher, sondern in jedem Zimmer“. Wenn das so ist, zieht sich ein durchschnittlicher europäischer Stromkonsument natürlich verschämt zurück, denn so weit sind wir noch nicht. Bei uns steht in der Toilette normalerweise noch kein Fernseher – aber wir holen kräftig auf (zumal der Fernseher angesichts der Qualität der Programme auf der Toilette durchaus gut aufgehoben ist).

Wir sind auf der Panamericana nach Nordwesten gefahren und machen einen Zwischenstopp bei einer Raststätte. Zwischen den Bäumen turnen rote und gelbe Aras hin und her und unterhalten die Gäste. Frank erklärt, dass es Aras an zwei Stellen in Costa Rica gibt und dass dies hier eine davon ist. Dass sie hier auftreten, mag damit zusammenhängen, dass hinter der Raststätte vegetarisches Futter aufgestellt wurde, das sich ohne mühsame Ernte zum sofortigen Verzehr eignet. Dass Ananas in Costa Rica ein Grundnahrungsmittel nicht nur für Aras ist, habe ich da schon begriffen.

Wir biegen nach einem Shopping- und Bankautomatenstop im heißen Liberia auf die Schotterpiste Richtung Vulkan ab. Der Aufenthalt in Liberia hätte länger nicht sein müssen. Zum einen ist es plötzlich sehr warm geworden, zum anderen ist es ist eine der vielen merkwürdigen Städte von Costa Rica. Ein architektonisches Unglück neben dem anderen. Extrem viel bunte Werbung prägt das Stadtbild. Thomas stellt fest, dass es so auch in Afrika aussieht. Wir befinden uns in der Provinz Guanacaste, die als eher trocken gilt und deshalb eine andere Vegetation aufweist als andere Landesteile. Wie etwa den Baum, der der Provinz seinen Namen verliehen hat. Im Garten der Hacienda Guachipelin, wo wir für die kommenden beiden Tage unser Quartier aufschlagen, stehen ein paar dieser beeindruckenden Baumriesen, die ausladend breite und dichte Kronen aufweisen und selbst für den Laien eher südländisch wirken. Das Gelände ist offener, als wir es bisher erlebt haben und es gibt gelegentlich Panoramablicke in Richtung Pazifik, von dem wir allerdings nur den Golfo de Nicoya, eine großflächige Bucht, am Horizont erahnen können.

Die Hacienda Guachipelin liegt nicht nur in der Nähe des Rincón de la Vieja, sondern auch der geothermischen Baustelle, an der Tag und Nacht gearbeitet wird, wie uns die Geräusche aus der Nachbarschaft vermitteln. Aber es stört nicht sehr und die Anlage macht die kleine Beeinträchtigung mehr als wett. Es handelt sich um ein Gestüt und wir sehen morgens zum Frühstück den Auftrieb der Pferde, Esel und Maultiere und kurz danach den Abtrieb der Kühe. Da die Straße zum Vulkan durch das Privatgelände der Hacienda führt, tragen wir bei unserem Aufenthalt rote Bändchen, mit denen wir uns an als Gäste ausweisen, die sich hier bewegen dürfen. Sicherheitspersonal in schmucker Uniform patrouilliert regelmäßig über das Gelände. Das einzige, was ich die Jungs habe arbeiten sehen, war das Be- und Entladen von Gepäck der Gäste. Das gehört wohl zum Fitnesstraining für den Fall, dass sich doch einmal ein Bösewicht auf das Gelände verirrt und der ganze Mann gefordert ist. Man hätte jedenfalls angesichts des Personaleinsatzes denken können, dass dies hier und nicht die wenige Kilometer entfernte Hacienda Santa Maria das Feriendomizil des früheren amerikanischen Präsidenten Lyndon B. Johnson ist.

Nach der Anreise und der Inbesitznahme der Zimmer steht schon ein Ausflug an. Rechtzeitig nach dem Einchecken hat sich der Himmel zugezogen und es beginnt zu regnen. Wir wollen zu den Thermalbecken, die direkt neben dem Rio Negro von einer natürlichen Quelle gespeist werden. Das Wasser ist sehr warm bis heiß. Eine halbstündige Wanderung ist vonnöten, um zu den Thermalbecken, die kaskadenförmig direkt neben einen Wildbach gebaut worden sind, zu gelangen. Aber es lohnt sich, denn das warme Wasser ist sehr angenehm. Selbst in dem Bach, der nicht von einer Thermalquelle gespeist wird, kann man bei mindestens zwanzig Grad gut baden. Allerdings empfiehlt es sich, der reißenden Strömung zu entgehen. Während wir baden, beginnt es heftig zu regnen und der Badespaß verkürzt sich um eine halbe Stunde. Die meisten ziehen sich gar nicht erst an und gehen in Badetracht zum Bus zurück. Als wir in der Hacienda zurück sind, geht der Regen erst richtig los. So stellt man sich den Urlaub vor.


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